Drama, Musik, Biographie | Erscheinungsjahr: 2024 | Geschaut: 2025 im Kino | Schauspieler: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning | Regisseur: James Mangold | 2h 20min

8,7/10 Punkte Like

Ein Blick hinter die Sonnenbrille? Oder doch einer hindurch?

Ja, ja, ja – ich glaube, wir alle sind uns einig, wenn ich sage: Wir hatten in den letzten Jahren wirklich genug von Musical-Biopics. Doch bei diesem hier hatte ich, trotz der Flut an ähnlichen Filmen, etwas Hoffnung und habe mich sogar richtig darauf gefreut. Zum einen, weil ich durch meine Familie und mein Umfeld früh an die Musik von Bob Dylan herangeführt wurde – und zum anderen, weil ich die Besetzung spannend fand. Allen voran natürlich Timothée Chalamet, von dem ich persönlich nie genug bekommen kann. Aber auch Edward Norton, bei dem ich hoffte, ihn nach längerer Zeit mal wieder in einer großen Rolle sehen zu dürfen. Und was soll ich großartig sagen: Ich saß 140 Minuten lang mit einem fetten Grinsen im Kino. Dieser Film macht richtig, richtig Spaß.

Ich werde diesmal etwas anders an die Kritik herangehen, weil ich hier nichts Großes von der Handlung zusammenfassen kann – da es sich eben um eine Biographie handelt. Stattdessen werde ich ein paar Punkte aufgreifen und versuchen, den Film im Leben von Bob Dylan einzuordnen. Denn eines ist direkt wichtig zu erwähnen: Der Film fasst nicht das gesamte Leben des Folk-Künstlers zusammen, sondern konzentriert sich auf einige bedeutende Stationen. Wir starten 1961, als Bob von Minnesota nach New York wandert, um sein Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy) zu treffen. Dort macht er auch die Bekanntschaft von Pete Seeger (Edward Norton), der ihm als Folk-Veteran den Weg in die Greenwich-Village-Szene ebnet. Durch seine Texte und poetischen Lieder trifft er einen Nerv in der Gesellschaft und erobert in kürzester Zeit die Clubs der Stadt. Sein kometenhafter Aufstieg endet in einem künstlerischen Wendepunkt: Als er beschließt, mit der Folk-Musik aufzuhören und fortan elektrisch zu spielen, stößt das bei vielen Menschen auf Ablehnung und mündet beim Newport Folk Festival in einem Skandal – er wird vom Folk-Idol zum Rock-Rebellen.

Bob Dylan wird vielen ein Begriff sein. Er ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Künstler unserer Zeit, wurde mit seinen Texten zum Sprachrohr einer ganzen Generation, hat die Folk-Musik geprägt wie kaum ein anderer – und dann auch noch den Schritt in die Rock-Szene gewagt. Selbst dort hielt sein Erfolg unvermindert an. Tja, und das ist eben auch im Groben das, was wir von Bob Dylan wissen. Mit dieser Biographie war natürlich die Erwartung groß, nun ein wenig mehr Einblick zu bekommen: Was steckt hinter diesem Künstler? Denn eines muss man auch ansprechen: Viel wissen wir nicht über den Mann mit der Sonnenbrille. In Interviews oder Shows war er zeitlebens sehr reserviert und gab nie viel von sich preis. Und zur Enttäuschung vieler bleibt auch das hier leider an einigen Stellen aus. Zwar lässt uns James Mangold viele private Momente von Bob Dylan erleben – vor allem seine romantischen Beziehungen mit Sylvie Russo (Elle Fanning) und Joan Baez (Monica Barbaro) – allerdings konnte man das auch schon auf anderem Wege erfahren. Wir sehen die Entwicklung eines jungen Künstlers der Folk-Musik bis hin zu seiner Entscheidung, sich von seinem Idol zu lösen und einen eigenen Weg zu gehen, und erleben auch seine Zweifel an vielen Entscheidungen. Es wirkt den Film über so, als wolle Dylan zeigen, dass er sich zeitlebens rechtfertigen musste für das, was und wie er ist. Als wäre der Film ein dicker Mittelfinger an all jene, die etwas anderes von ihm wollten und ihn nicht das machen lassen wollten, was er wollte. Und ihn so lange gedrängt haben, bis er schließlich aufgehört hat, auf andere zu hören. Der große Einblick hinter die Kulissen, hinter die Sonnenbrille – der bleibt aber genau deshalb aus.

Auch abseits dieser Einblicke in Dylans Leben verkörpert Timothée Chalamet ihn mit – nennen wir es mal – zurückhaltender Intensität. Seine Körpersprache, seine Blicke, seine Art zu sprechen: all das wirkt sehr authentisch, zeigt aber eben auch nicht, wie Bob Dylan privat war. Und das zieht sich durch den gesamten Film. Die Figur wirkt – wie in den meisten seiner öffentlichen Auftritte – so, als wäre er todlangweilig und hätte keine Lust. Die große Frage, wer diese Person eigentlich ist, warum seine Texte so bedeutend sind und wie er auf seine Werke kam, bleibt leider unbeantwortet. Jetzt habe ich ziemlich viel Negatives angesprochen, und es wirkt fast so, als wäre der Film eine Katastrophe. Also: Woran lag es, dass ich ihn letztlich doch so gut bewertet habe und mit einem riesigen Lächeln im Kino saß? Naja, man muss sagen: Beim Schauen habe ich über viele der genannten Punkte hinweggesehen – ich wollte vor allem gut unterhalten werden. Und das mit großartiger Musik. Und meine Güte, da zieht der Film dann so richtig an. Wenn die musikalischen Momente einsetzen und Chalamet auf die Bühne geht, zeigt sich die große Stärke dieses Films. Hier ist nichts nachbearbeitet oder mit KI verfeinert – tatsächlich singt Timothée Chalamet alles selbst und sorgt mit seiner rohen und ungeschliffenen Art für eine sehr authentische Darbietung. Um es einfach auszudrücken: Ich hatte danach so lange einen Ohrwurm, dass ich Bob Dylan in meinem Spotify Wrapped wahrscheinlich öfter sehen werde als meine eigene Familie.

Wir erleben hier ein New York der frühen 60er: verrauchte Clubs, politische Unruhen und eine Szene, die nach Veränderung schreit. James Mangold zeichnet nicht nur das Biopic eines einzelnen Künstlers, sondern gibt auch einen tiefen Einblick in die damalige Musikgeschichte. Wir dürfen – auch abseits von Bob Dylan – einige weitere große Künstler erleben. Besonders gefreut hat mich persönlich die Einbettung von Johnny Cash (Boyd Holbrook). Der große Wechsel vom akustischen Folk hin zum elektrischen Sound wird spürbar gemacht – musikalisch wie auch kulturell.

Like A Complete Unknown zeichnet sich durch seine Musik, seine stimmungsvollen Bilder und den Mut aus, eben nicht alles erklären zu wollen. Stattdessen erleben wir einen Film, der – genau wie Bob Dylan an seine Songs – fragmentarisch, poetisch und mit viel Raum für Interpretation herangeht. Und vielleicht ist es genau das, was dieser Film uns zeigen will: Sein ganzes Leben lang musste er sich anderen erklären und so sein, wie sie ihn haben wollten. Doch was, wenn nicht Bob Dylan sich hätte ändern müssen – sondern sie? Ein ruhiger und starker Film über einen Künstler, der nie stehen blieb. Einer der größten unserer Zeit.

Verfügbar bei: https://www.justwatch.com/de/Film/like-a-complete-unknown